Worin liegt der Unterschiede eines Perspektivwechsels zu einer systemischen Aufstellung? Dieser Gedanke begegnet mir immer wieder und ich versuche mal meine Sicht der Dinge nieder zuschreiben. die folgenden Zeilen erheben keinen Anspruch auf Gültigkeit, sondern dienen lediglich dem Austausch von Sichtweisen und Herangehensweisen in der professionellen Aufstellungsarbeit.
Oft fragen meine Teilnehmer vor der gemeinsamen Arbeit, was sie genau erwartet. Ob sie irgendwelche Informationen für die Stellvertreterposition benötigen, eine schauspielerische Fähigkeit - ob sie sich quasi bestmöglich in die Stellvertreterposition hinein denken sollen.
"Nein" lautet meine Antwort liebevoll und unmissverständlich. Was gut gemeint ist und sehr emphatisch klingt, entsprich eher einem möglichen Perspektivwechsel und somit einer weiteren Sichtweise aus einer möglichen Wahrnehmungsposition heraus.
Der Unterschied zwischen einem Perspektivwechsel und einer systemischen Aufstellung liegt in der Art und Weise, wie sie Menschen ermöglichen, neue Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen.
Doch lasst mich zuerst einmal kurz die Begrifflichkeiten, wie ich sie verstehe, erläutern:
Der Perspektivwechsel:
Ein Perspektivwechsel ist eine rein kognitive Methode, bei der eine Person bewusst versucht, eine Situation oder ein Problem aus einer anderen Position/ Sichtweise heraus zu betrachten. Es geht darum, sich in die Lage einer anderen Person zu versetzen oder die Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, um dadurch neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dieser Prozess erfordert oft ein aktives und bewusstes Umdenken und eine geistige Leistung, sich in die Gedankenwelt eines anderen hineinzuversetzen und eine weitere Sichtweise zu entwickeln.
Dazu muss der "Stellvertreter" oder "Perspektivwechsler" etwas über die Charaktereigenschaften und Wesenheiten einer Person wissen. Er kennt vielleicht sogar einen Teil ihrer Geschichte. Er versetzt sich gedanklich in die Position und interpretiert frei heraus. Dabei müssen diese Personen nicht real sein. Für einen Perspektivwechsel könnte man auch auf einen Helden wie Superman, Bugs Bunny, Pipi Langstrumpf, Yoda u.a. zurückgreifen. wir könnten mutmaßen, "was würde denn deine Freundin dazu sagen". Wir nehmen gedanklich stellvertretend ihre Position ein und geben aus dieser heraus impulsgesteuert wider, was deren Perspektive sein könnte. Und so mag es sein, dass die eigene Geschichte und das eigene Hindenken hier auch seinen Anteil beisteuert. Es handelt sich hier also um keine Erkenntnisse aus dem Feld, sondern um eine rein kognitive Wahrnehmungsposition. Bedeutsam ist, dass unterschiedliche Stellvertreter aus der gleichen Position unterschiedliche Informationen preisgeben. Für mich wäre das ein Indiz, wieso es sich nicht um Informationen aus dem indigenen Feld, bzw. morphogenetischen Feld handelt. Denn diese sind immer - auch bei unterschiedlichen Stellvertretern - identisch.
Stelle ich reale Personen, wie Astrid Lindgren, Bill Kaulitz auf, so zapfe ich ungefragt deren Energiefeld an. das würde für mich eine klare Grenzüberschreitung deren Persönlichkeit bedeuten. Bleibe ich hypothetisch und rein kognitiv... im Sinne, "was glaubst du würde dieser oder jener dazu sagen"... bedienen wir uns nicht persönlicher Felder - haben aber auch keine Aufstellung. Denn diese arbeitet mit persönlichen Feldern und das ist nur verträglich mit höchsten Respekt und Wahrung der Grenzen.
Aber zurück zu neu gewonnen Sichtweise: nun ist es dem Klienten möglich eine neue innere Haltung und idealerweise mehr als nur eine neue Perspektive zu entwickeln, was sich auf sein Verhalten und dadurch auf sein Umfeld positiv auswirken wird. Er entwickelt Verständnis für neue Aspekte und Handlungsmöglichkeiten. Gewinnt Sicherheit für neue Entscheidungen und Perspektiven. Sicherlich kann das eine positive Wendung bringen und der absolute Game-Changer sein. Kurz gesagt, wir speisen das persönliche Feld des Klienten mit neuen Informationen und Ansichten, er entwickelt neue Gefühle, entwickelt dadurch neue Handlungen und gestaltet einen neuen Alltag.
Doch wie verhält es sich mit der Aufstellungsarbeit im morphogenetischen, systemischen Feld
Systemische Aufstellung:
Eine systemische Aufstellung ist eine tiefe, oft unbewusste Methode, die auf dem Prinzip basiert, dass Menschen Teil eines größeren Systems (wie Familie, Arbeit, Beziehungen) sind, und dass die Dynamiken innerhalb dieses Systems oft unbewusst gesteuert werden. In einer systemischen Aufstellung werden Personen oder Objekte (Stellvertreter) in einem Raum positioniert, um die Beziehungen und Interaktionen innerhalb dieses Systems sichtbar zu machen. Die Stellvertreter benötigen keine spezifischen Informationen über die Positionen, die sie einnehmen, und sie sollten sich nicht aktiv in die Rolle hineinversetzen. Stattdessen offenbaren sich durch das Aufstellen selbst die zugrunde liegenden Dynamiken und Muster des Systems. Die Informationen entblättern sich ohne kognitivem Zutun. Gefühle, Verhaltensweisen zeigen sich von selbst. "Das sagte meine Oma immer" oder "Genauso stand mein Vater immer da" sind häufige die bestätigenden Aussagen meiner Klienten. Und häufig wirkt genau dieses Phänomen überwältigend und sollte daher gut begleitet sein. Die Emotionen und Gefühle, die dabei auftauchen, können stark und intensiv sein. Gerade in dieser Arbeit bedarf es eine gute, emphatische und feinfühlige Begleitung. Mit offenen Herzen und allparteilich auf das System blickend. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass eine Aufstellung und deren Wirkung keinesfalls von der Dramatik und Lautstärke der Stellvertreter profitiert oder es zuträglich für ein besseres Ergebnis wäre. Im Gegenteil, je weniger der Kopf dazwischen funkt, desto sanfter und leichter läuft der Prozess.
In meinen Seminaren arbeite ich im Vorfeld mit diesem Phänomen, um eine leichte und spielerische Herangehensweise zu fördern. Aufstellungsarbeit macht Freude und ist ein sehr heilsamer Prozess Immer wieder erlebe ich es, dass nicht nur der Klient, sondern auch die Stellvertreter von dieser wundervollen Arbeit profitieren. Aufstellungsarbeit ist leicht und bringt positive Energie.
Es gibt nichts zu tun, denn die Aufstellungsarbeit entsteht aus dem Feld und hat auch aus dem Feld heraus Auswirkungen auf alle Beteiligten.
Im Unterschied zum Perspektivwechsel ändert sich nicht nur die Haltung des Klienten, sondern auch auf einer energetischen Ebene verändert sich das gesamte System und schwingt sich harmonisch und natürlich ein. Alles findet seinen Platz in einer kosmischen Ordnung. Davon ausgehend, dass jedes System ursprünglich in Harmonie und eigner Ordnung ist, ist es in dieser Arbeit das höchste Anliegen zum Wohle aller genau dieses wieder herzustellen.
Aufstellungsarbeit ist eine Methode, um Dynamiken in einem Feld sichtbar zu machen und in eine gute Balance zu bringen.
Es gibt unterschiedliche Methoden und Aufstellungsformate, die je nach anliegen und klient ausgewählt werden können. Es handelt sich immer um eine maßgeschneiderte Arbeit, nie um ein immer wiederkehrendes Schema. Wobei das Nichtwissen und die Liebe unsere stärksten begleiter sein sollten.
Nur wer ein Konzept hat, hat auch die Sicherheit und Klarheit dieses über den Haufen zu werfen.
Aufstellungsarbeit sollte gelernt sein.
Auch, wenn es in meinen Seminaren immer so leicht und einfach daher kommt, ist es unverzichtbar dieses Handwerk gelernt zu haben.
Zusammenfassung:
Perspektivwechsel:Â Eine bewusste kognitive Wahrnehmungsposition, um eine Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Systemische Aufstellung: Eine Methode, bei der unbewusste Dynamiken eines Systems durch die Positionierung von Stellvertretern sichtbar gemacht werden, ohne dass diese sich in die Rolle hineinversetzen müssen.
In meinen Aufstellungen benötigen die Teilnehmer also keine detaillierten Informationen oder ein Hineindenken in die Stellvertreterpositionen. Es bedarf kein Breittreten der Ereignisse, keine wiederholten Szenarien, um erfolgreich arbeiten zu können.
Bei einer systemischen Aufstellung geht es nicht um die bewusste Perspektive der Stellvertreter, sondern um das Aufdecken der oft verborgenen systemischen Dynamiken und deren Hinbewegen zu einer natürlichen Ordnung, wissend, dass das Leben immer für uns ist.
In Liebe
Ingrid
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